Argentinien - 1. bis 28. Januar 2011
Alles
begann mit dem Flug an Silvester 2010, mit TAM, der brasilianischen
Fluggesellschaft, die alles in ihren Kräften verfügbare dran setzte, um
Silvester ausfallen zu lassen. Licht aus. Kein Sekt. Keine
Zusammenrottung sich alles gute wünschender Menschen. Pinche, würden die
Nicas dazu sagen. Wir haben sie lauthals verflucht, uns trotzdem das
Beste gewünscht und sind dann eingeschlafen. Bis zur Landung.
Buenos Aires
Buenos
Aires am 1.1.2011. Der eigentliche Start. Die Stadt gerade von einer
Hitzewelle geplagt, wir aus dem eiskalten Berlin kommend – die erste
körperliche Herausforderung, die aber angesichts des Sprungs ins Warme
locker zu meistern war. In der Hauptstadt hatten wir auch nur wenige
Tage eingeplant, drei, um genau zu sein. An Neujahr schlenderten wir
durch die Stadt, über Kunstmärkte, den Friedhof von Recoleta – auf dem
unzählige Touristen vor dem Grab Evitas Schlange standen. Clever wie wir
waren, schlichen wir uns von hinten an die fotografierenden Menschen an
und sahen von da aus die Grabtafel. Der Friedhof als solcher glich
einem kleinen Städtchen, kleinere und größere Grabhäuser, in denen wie
in Regalbrettern sortiert die Särge mehrerer Familienmitglieder noch
aufgebahrt zu sehen sind. Mit geschickter Fotografiertechnik könnte bei
dem einen oder anderen Friedhofsweg die Eindruck erweckt werden, in der
Altstadt Prags spazieren zu gehen.
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Was uns eigentlich gleich bei der Ankunft im Stadtteil, wo wir
untergekommen sind, auffiel, waren Plakate an der Straße, die dem vor
kurzem überraschend verstorbenen Ex-Präsidenten Nestor Kirchner dankend
gewidmet waren.
Wir spazierten durch das moderne – an die
Hamburger Speicherstadt erinnernde – neue Viertel am Hafen, in dem noch
jede Menge leere Champagnerflaschen (Dom Perignon) vom Vorabend rumlagen
und in dem die, die es sich leisten können, Eiskugeln für umgerechnet 4
Euro in der Neujahrssonne schlotzten. Plötzlich befanden wir uns
ungewollt inmitten eines gigantischen Spektakels, dem Vorlauf der Dakar
Rallye, die neuerdings in Buenos Aires startet und von dort bis zur
bolivianischen Grenze und durch Chile führt. Entsprechende Motorräder,
Geländewagen, bescheuerte aufgemotzte Hummer kurvten durch die
Innenstadt um Obelisk, an der Kathedrale und Plaza de Mayo vorbei, auf
der wiederum Veteranen des Malvinenkriegs seit Wochen campieren und eine
angemessene Kriegsverletztenrente fordern.
Am Sonntag machten
wir dann einen Ausflug ins Naherholungsgebiet der Hauptstadt, Tigre, ein
wunderbares Flussdelta des Paraná. Sonntagsausflugsziel der Massen.
Unendliche viele Ausflugsboote schippern Tausende von Hauptstädtern raus
auf die Flussarme, deren Ufer nahtlos mit Wochenendhäuschen besiedelt
sind. Dort hab ich dann auch schon die erste Parilla – sprich
Fleischberge als solche – genossen. Und irgendwie haben mich die
Menschenmassen auch nicht gestört. Zuviel Einsamkeit hätte so direkt
nach Berlin wahrscheinlich eher einer Schocktherapie entsprochen.
Am
Montag war dann auch der erste „Arbeitstag“, sprich, die Suche nach
einer schönen Geschichte, Treffen mit sehr interessanten Personen in
Buenos Aires, mit denen wir bei unserer Rückkehr in einigen Tagen uns
nochmals für Interviews treffen werden. Darüber später dann mehr. Die
Fahrt in die Innenstadt mit öffentlichen Verkehrsmitteln gestaltete sich
an diesem stinknormalen Arbeitstag als äußerst beschwerlich. Vor Allem
die Rückfahrt mit der U-Bahn zur Feierabendzeit, die Mensch eigentlich
nur sitzend aushalten kann (wir hatten zu zweit uns einen Platz
ergattert, was zu eingeschlafenen Beinen und verkrümmten Rücken führte).
Stehen ist Horror pur. Von Minute zu Minute wuchsen die Schweißflecken
auf den Hemden u Blusen der vor uns stehenden, die zusammengequetscht u
ohne Bewegungsspielräume durch die Tunnel des hauptstädtischen
Untergrunds geschaukelt wurden.
Bei Delia waren wir super untergebracht und wir hatten viel Spaß miteinander.
UshuaiaAm
4. Januar mussten wir schon wieder vor dem Wachwerden aufstehen. 4 Uhr
morgens Flughafen, 5 Uhr morgens Abflug ans Ende der Welt. Dort
anzukommen gestaltete sich dann aber doch nicht so einfach. Kurz vor dem
Landeanflug erreicht uns die Ansage des Piloten: „dicker Nebel in
Ushuaia“ und von daher keine Landeerlaubnis. Wir drehen ein paar Runden –
schöne Runden nebenbei bemerkt, mit Blick auf den Beaglekanal und die
Berge des Feuerländischen Nationalparks – dann die Ansage: „wir drehen
ab, fliegen zurück nach Norden bis Rio Gallegos“, eine gute Flugstunde
entfernt, eine Stadt, die vom Öl lebt und im Nichts liegt. Dort parken
wir zwischen, warten und warten. Dürfen nicht aussteigen, bekommen aber
auch nix zu essen u irgendwie wäre langsam ja auch mal Frühstück
angesagt. Zwischen drin dann die Horroransage, dass – sollte bis
spätestens 11 Uhr keine Landeerlaubnis kommen - wir nach Buenos Aires
zurück müssten. Das entspräche nicht wirklich dem Traum der Reisenden
ans Ende der Welt. Aber die Landeerlaubnis kommt und mit gut 3 stündiger
Verspätung sind wir in Ushuaia. Eine komisch verrückte Stadt, schnell
gewachsen und weiterhin am Wachsen, obwohl so richtig Platz zum
Ausdehnen nicht wirklich mehr vorhanden ist. Von hier starten die
Abenteurer ihre Fahrten ans Kap Horn oder in die Antarktis. Hier landen
einige Südamerikatourenkreuzfahrtschiffe zwischen, spuken dann für ein
paar Stunden ihre Menschen aus, die entweder mit Busen bestens
organisiert an den highlights vorbei gekarrt werden, oder die – ein paar
wenige – dann auf eigene Faust durchs Städtchen bummeln.
In
Ushuaia, oder besser in ganz Feuerland, förderte die argentinische
Regierung seit Mitte des vergangenen Jahrhunderts intensiv die
Ansiedlung und lockte Multis mit den üblichen Vergünstigungen zum Bau
von großen Fertigungshallen – vor allem Elektronikindustrie, wodurch
natürlich auch die Arbeitsmigration zunahm. Ein Städtchen, dass sich vom
Kanalufer die Hänge hinauf schlängelt mit z.T ganz tollen Holzhäusern,
mit etlichen furchtbar klotzigen und störenden Protzbauten, mit vielen
Häuschen, die Puppenstuben ähneln. Viele sehen unfertig aus, ein
bisschen Pressspanplatte, dazu Wellblech und Holz. Und das bei
Temperaturen, die im Sommer (wir waren ja im Sommer dort) nicht
unbedingt als richtig warm zu bezeichnen wären. Der Wind ist einfach
kühl und der weht immer. Schon von weitem sieht man am Hang oben eine
riesige Schneise eingeschlagen, auf der viele Hütten aktuell nur mit
Planen hochgezogen sind. Ein Ärgernis für viele der Alteingesessenen,
die allerdings auch alle grad mal so mehr oder weniger zwischen 20 – 30
Jahre dort angesiedelt leben. Die allermeisten der heutigen Bewohner
dieser Stadt kommen aus den Nordprovinzen oder aus Europa und fast alle
kamen damals genau wie heute auf der Suche nach Arbeit. Die organisierte
Besetzung einer größeren Fläche offenbart einen Konflikt, mit dem sich
dieses Städtchen in nächster Zukunft intensiv beschäftigen muss.
Einerseits zu wenig Wohnraum, andererseits Bedarf an Arbeitskräften – am
anderen Ende der Stadt, Richtung Ausfallstrasse in den Norden, stehen
reichlich Fertigungshallen der Freihandelszonenmultis, sieht man überall
Container hochgestapelt. Über den Hafen von Ushuaia wird der Rest von
Feuerland mit Ware versorgt. Von Ushuaia aus werden auch die in den
Freihandelsfabriken von Rio Grande zusammengebauten Elektronikprodukte
ausgeführt. Viele Argumente der Alteingesessenen Ushuaia Bewohner gegen
die Besetzer sind denn auch klassisch. Sie ärgern sich darüber, dass
die „da oben“ (weil am Hang ganz oben die Besetzung stattgefunden hat)
im „Barrio Escondido“ , dem versteckten Stadtteil, sich einfach den
Platz für Wohnraum nehmen, auf den andere ewig lange warten oder
gewartet haben, bis sie von der Stadtverwaltung Baugrundstücke
zugewiesen bekamen. Und sie ärgern sich über die Zerstörung des Waldes,
was schon sehr heftig aussieht. Gut, etwas weiter oben am gleichen Hang
mussten – vor längerer Zeit schon – für den Bau von Luxushotels auch
etliche Bäume weichen, was dem Wald auch nicht unbedingt gut getan hat.
Aber so richtig sind wir in das Thema nicht eingestiegen, es war nur
äußerst interessant zu hören, wie Leute aus den unteren Stadtteilen
gleich los schimpften von wegen, dass sind alles Ausländer, Bolivianer,
Chilenen und die sind gefährlich und seit die da sind, gibt es viel mehr
Kriminalität, Diebstähle, Vergewaltigungen usw., Argumente, die wir
international immer wieder gegen Arbeitsmigranten verwandt werden und
die wir aus Berlin oder Deutschland kennen.
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Wir sind noch in den Stadtteil hoch gelaufen, der direkt an die
Besetzung grenzt, haben nachgefragt, wie es so ist mit diesen Leuten
da oben und da kamen ganz gelassene Antworten, voll ok, tranquilo, kein
Problem. Um Wahrheiten zu suchen, braucht mensch Zeit und so sehr viel
hatten wir nun nicht gerade in Ushuaia, weil wir ja doch auch einiges
von der Gegend mitbekommen wollten. Dort begannen wir unsere ersten
längeren Wanderungen. Zunächst auf den Berg hinter Ushuaia, den Weg zum
dortigen Gletscher – der als solcher kaum noch zu erkennen ist, im Ort
allerdings stark touristisch vermarktet wird. Von dort gibt es einen
fantastischen Blick auf den Beagle Kanal und den dahinter liegenden Teil
Feuerlands, den südlicheren Teil, den chilenischen Teil. Dort liegt
übrigens Port Williams, eine chilenische, ursprüngliche Militärsiedlung,
die auch für sich beansprucht, die südlichste Stadt der Welt zu sein.
Aber das nördlichere Ushuaia gewinnt zumindest in der touristischen
Anziehungskraft diesen Wettstreit. Die Berge als solche – auch im an
Ushuaia angrenzenden beginnenden Nationalpark Tierra de Fuego – sind
jetzt nicht unbedingt so besonders, wenn man die Alpen kennt, aber sie
liegen halt am Ende der Welt und dieses Gefühl begleitet einen dort
ständig und macht die Stadt mitsamt Umgebung zu einem besonderen Platz
auf dieser, unserer Welt. Außerdem ist es sehr, sehr anspruchsvoll sie
zu besteigen. Oder besser gesagt anstrengend, weil die klassischen
Serpentinenwege, wie wir sie gewohnt sind, gibt es da nicht wirklich.
Wenn Steigung, dann sind es richtig heftige Steigungen, die fast grade
den Berg sich hochziehen und einen selbst fast flach zum Boden laufen
lässt. So hab ich auch schon gleich beim ersten Abstieg eine Rolle
gedreht. Irgendeine Wurzel oder ein Stein wollte mich zum flachliegen
bringen.
Das mit dem Ende der Welt verfolgt dich in Ushuaia
überall, meist in Form von Wegweisern, die die Nähe zur Antarktis – 1000
km – hervorheben und die Distanzen zu besonderen Orten dieser Welt –
Berlin über 14.000 km – aufzeigen. Und die Stadt bietet auch für die
Touristen ihre locos, ihre Verrückten. In einem Restaurant an der
Uferstrasse steht denn auch Che in Originalgröße mit Zigarre in der Hand
als Figur am Rand neben einem Uraltkochherd, umrahmt von etlichen
bekannten Fotos von ihm, daneben Evita Peron, dann irgendwelche Rugby
teams in Sträflingskleidung, weil Ushuaia ja mal den Knast am Ende der
Welt hatte – heute Museum – in dem u.a. der berühmte Tango-Musiker
Carlos Gardel und die Aufständischen von Patagonia Rebelde einsaßen.
Eine andere Kneipe an der Uferstrasse gleicht ebenfalls einem alten
Gemischtwarenladen, in dessen Regale und Schubladen neben Reis,
Kaffeebohnen auch Pisspötte und Schlachtermesser zu sehen sind.
Die
Uferstraße ist voll bebaut mit Plätzen der Erinnerung für die Helden
der Antarktiserkundungen, für die Helden der Unabhängigkeitskämpfe, für
die heldenhaften Soldaten, die im Malvinenkrieg ihr Leben ließen und
neuerdings, allerdings völlig unscheinbar und abseits gelegen auch ein
Erinnerungstafel für die 30000 Vermissten der Militärdiktatur, aber wie
gesagt, das muss man finden wollen.
Dann ist am Hafen noch ein
Platz mit einer vergrabenen Kapsel voller erzählter Geschichten aus dem
heutigen Leben, wo auf einer Tafel an die zukünftigen Generationen
gemahnt wird, diese dort postiert zu lassen für die Menschen in 500
Jahren, damit diese ein Stück erzähltes Leben aus unserer heutigen Zeit
lesen können. Eine nette Idee.
Wandern konnten wir sehr schön im
Nationalpark Tierra de Fuego und auf der entgegengesetzten Seite von
Ushuaia zur Lagune Esmeralda. Dieser Weg vorbei an unendlich langen
feuchten Mooswiesen, in denen wir z.T leicht einsanken – ein witziges
Gefühl beim Laufen –, vorbei an vielen dieser abgestorbenen, vom Wind
zerfetzten Baumreste gab uns das erste Mal dieses Gefühl in der
Einsamkeit und Weite Patagoniens unterwegs zu sein. An den Seen und
kleinen Flüssen waren überall Biberdämme errichtet. Auf diesem Weg hatte
ich oft das Gefühl, ich kann mich gar nicht satt sehen an diesen tollen
Farben, die durch das Licht in diesem südlichen Teil der Erde
entstehen. Und irgendwann hatten wir dann dort auch das erste kleine
Adventurepech. Kalle lag bäuchlings über einem Holzstamm. Beim
drüberbalancieren ist er ausgerutscht und plumpste ins eiskalte
Biberwasser. Da ich ja schnell die helfende Hand ausstrecken und mich
darüber versichern musste, dass alles ok ist, konnte ich das nicht
bildlich festhalten, nur die Folgen davon. Die Suche nach Geschichten
war hier schwieriger und ich hab mich mit ein paar kleinen Texten für
Zeitungen versucht. Mal schauen.
CalafateCalafate
ist ein Muss, wenn mensch sich in Patagonien, bzw. im südlichen Zipfel
Argentiniens bewegt. Der Nationalpark mit dem Gletscher Perrito Moreno
sollte auf dem Plan stehen. Das waren die Empfehlungen Aller, die
bereits diese Region bereist haben. Also war es klar, dass Calafate die
nächste Station sein sollte. Mit viel Glück konnten wir uns noch in
Buenos Aires Flugtickets der argentinischen Fluglinie LADE – der
Luftwaffe – kaufen. Das sind die günstigsten und von denen gibt’s nur
wenig, da in deren Fliegern max. 36 Passagiere passen. Die Landschaft
dorthin vom Flieger aus war öde Steppe. Calafate selbst ein für unser
Empfinden uninteressanter Touristenort, an dem mensch wirklich keinen
Tag zuviel einplanen sollte. Aber die Fahrt zum Nationalparkt war
klasse. Wir hatten dafür eine alternative Tour gebucht, die die Hinfahrt
über die Steppe, die Pampa machte. Und plötzlich trafen wir auf eine
größere Gruppe Condor, die am Rand sassen und nach Aas Ausschau hielten.
Der Bus stoppte und 36 Kameras richteten sich auf die Tiere – unsere
natürlich auch. Dabei rutschte mir unbemerkt die Brille runter.
Irgendwer fand zwar das schwer lädierete Teil und ich schleppe es
seither als Erinnerungsstück mit mir. Wir fuhren auch an der Estancia
(Farm von Viehzüchtern) Anita vorbei, DER Estancia, auf der sich damals
(wieder die Geschichte von Patagonien Rebelde) die Dramen abspielten,
als letztlich die Militärs die aufständischen Tagelöhner im Auftrag der
Großgrundbesitzer besiegt hatten. Kalle fragte dann auch die
Reiseleiterin, wieso sie davon nichts erzählte beim Vorbeifahren.
Darüber soll nicht wirklich geredet werden, war ihre Antwort. Die
Alternativtour hatte auch schon mal die Genehmigung, mit ihren Touristen
die Estancia zu besichtigen, allerdings mit der klaren Absprache, diese
Geschichte nicht anzusprechen. Im Nationalpark teilten wir dann die
Aussichtsplattform mit Tausenden von Gleichgesinnten (3500 sollen es im
Tagesdurchschnitt in der Hochsaisonzeit – in der wir uns befinden –
sein). Aber wir fanden trotzdem immer wieder Plätze direkt am Geländer,
direkt gegenüber von diesem spektakulären Gletscher, waren fasziniert
von den Rumpsgeräuschen, wenn Eisschollen abbrachen und genossen auch
die Schiffsfahrt direkt an den Gletscherwänden entlang am späteren
Nachmittag, wo das Sonnenlicht die Spitzen blau funkeln ließ. Tolle
Momente. Also von daher ist es auf jedenfall richtig: Calafate muss
sein.
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Hier begegnete uns auch zum ersten Mal das „rollende Hotel“ in
dem zu unserer Überraschung überwiegend Menschen unseres Alters sich in
die dünnen, klaustrophobieerzeugenden kleinen Bettschläuche
reinquetschen und die sich dann, unter aufgespannten Zeltplannen bei
kaltem scharfen Wind an klassischen Biertischen ihr Frühstück
zubereiten. Später in El Chalten sind wir dem und dessen Reisenden noch
einmal begegnet. Wie so manchen anderen organisierten Touren aus
Deutschland oder Campingbussen mit Aufschriften: „Somos alemanes“ /sind
deutsche.
El ChalténEl Chaltén
ist ein kleines Bergdorf unterhalb des Fitz Roy Massivs (wer „am Limit“
gesehen hat, kennt den Fitz Roy und den Cerro Torre, an dem die
Huberbrüder verzweifelt sind). Dahin zu kommen von Calafate, heißt 3 ½
Stunden Busfahrt durch die patagonische Einöde, durch langgezogenes
Nichts. Und plötzlich mittendrin in diesem Nichts, an einer Flußbiegung
hält der Busfahrer an einer kleine Wirtschaft mit Gästezimmer. Dort kann
man an den Wänden die Geschichte von Bud Cassidy und Billy the Cid
lesen, die dort damals für einige Zeit untergeschlupft waren und von
dort aus Banken in Patagonien ausgeraubt haben. Ja und dann breitet sich
plötzlich ein riesiger See aus, an dessen Ende der noch größere (als
der Perrito Moreno in Calafate) Viedma Gletscher zu sehen ist, der aber
weit weniger spektakulär daherkommt. Und da dahinter tauchen dann die
Gipfel des Fitz Roy und all der anderen Berge auf.
El Chaltén als
Dorf wurde erst 1985 gegründet. Davor lebten dort schon vereinzelt ein
paar Bergsteiger, aber es gab keine dörfliche Struktur. Um die Region
gab es Grenzstreitigkeiten mit Chile und daher forcierte Argentinien die
Gründung El Chalténs. Heute wirkt der Ort einzig und allein geschaffen
dafür, den die Berge liebenden Urlaubern eine Unterkunft zu bieten. Eine
super schöne Unterkunft. Die Allen was bietet. Ein paar Luxushotels,
viele einfache Hotels, Bed & Breakfast Pensionen und Zeltplätze. Die
ganze Umgebung ist Nationalpark und entsprechend limitiert. Die
Wanderwege sind toll, wirklich toll mit fantastischen Ausblicken, mal
auf die Berggipfel, dann auf die Gletscher, auf Seen und Lagunen, auf
die für Patagonien typischen Wiesen mit den Krüppelbäumen, mit von den
starken Winden ausgefransten Bäumen und immer wieder auf die vielen
rings herum stehenden Gipfel. Wir haben die 5 Tage richtig genossen,
sind gelaufen und gelaufen, haben Anstiege gemacht, wo mensch sich
zwischendurch nur fragt, wieso man sich das antut und oben angekommen
dann so was von zufrieden ist und fasziniert die Schönheiten betrachtet
und jeder Biss von der mitgeschleppten Stulle zum Genuss wird, genauso
wie die vielen Schlucke aus den erfrischenden Berggewässer. An fast
allen Eintagswanderwegen sind an deren Ende Camps für
Mehrtagewanderungen oder für die Bergsteiger. Und wir haben viele Leute
dort campen sehen oder schwerbeladen mit Zelt, Schlafsack usw dorthin
ansteigen sehen. Irre viele junge Leute waren da unterwegs – wir sind
sowieso ganz oft die Platzältesten, da wo wir uns bewegen. Um uns rum
oft die nach dem Abitur die Welt erkundenden oder die nach dem Studium
noch mal länger reisen wollenden. Aber zweimal haben wir jetzt auch
schon welche getroffen, die erzählten, sie sind ein Jahr unterwegs,
machen eine Weltreise. Bei einer dieser Touren zeigt mir Kalle
irgendwann ein Brillenglas, das er gefunden hat, fragt dabei, ob es von
mir sein könnte, was ich absolut verneine. Ich guck zwar noch durch uns
merke auch, dass es meine Lesestärke ist, und denke: die oder der
Ärmste. Ein weilchen später will ich auf der Kamera mir ein Foto
anschauen, setz dafür meine in Calafate neu erstandene billig Lesebrille
auf u merke, dass ein Auge nicht richtig verstärkt wird. Es fehlt das
Glas, das jetzt am anderen Ende des Wanderweges liegt.
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So wie in Ushuaia plötzlich Che in Lebensgröße im Lokal
stand, hatten wir hier dann in nem kleinen Restaurant die Begegnung mit
der Hand Gottes. Ein Maradona Verehrer der ersten Stunde, der Wirt. In
der gemütlichen Wirtschaft mit Holzfeuer inmitten des Raumes war eine
Wand dem eigentlichen Helden des Landes gewidmet: ein Trikot mit
Originalunterschrift aus der Neapel Zeit von Diego, dann DAS Foto mit
der Hand, dann in Folge die Aufnahmen seines genialen Alleingangs vom
Mittelfeld aus und das folgende geniale Tor.
In unserer
Unterkunft hing neben unserer Zimmertür ein Plakat vom damaligen
Kongress gegen den Neoliberalismus der Zapatistas im Chiapas. Mit
Gerardo, dem Besitzer, folgten daraufhin spannende Gespräche über die
Entwicklung des Ortes, über die aktuelle Politik in Argentinien seit die
Kirchners dran sind, die ja aus der Region kommen und in Calafate
mehrere Hotels u Wirtschaftsunternehmen besitzen. Für ihn haben beide in
ihren bisherigen Regierungszeiten ein paar gute Veränderungen auf den
Weg gebracht, was allerdings noch lange nicht bedeutet, dass damit
Argentinien heute für eine linke Politik stünde. Aber es gäbe einige
Reformen, die zumindest ein bisschen für sozialen Ausgleich sorgen. Das
hatte mir so in der Form auch schon eine Rentnerin in Ushuaia erzählt,
die an ihrem Verkaufstand extra ein Schild aufgehängt hatte, auf dem sie
sich bei Nestor bedankte und Cristina zum durchhalten aufforderte. "Sie
haben viel für die Rentner durchgesetzt." Mit Gerardo haben wir auch
viel darüber geredet, wie wichtig die strafrechtliche Aufarbeitung der
Verbrechen zu Zeiten der Militärdiktatur, des Staatsterrorismus, ist und
das der argentinische Weg, endlich auch tatsächlich die
Verantwortlichen zu verurteilen, der notwendig richtige ist. Zu diesem
Thema werde ich ja sowohl in Buenos Aires als auch später in Montevideo
noch etliche Interviews machen.
Das Wetter in El Chaltén war ziemlich durchwachsen, sehr sehr
kalter Wind meist und die Gipfel leider auch die meiste Zeit hinter
Wolken versteckt. Einmal ist Kalle extra morgens um 3.30 Uhr
aufgestanden, mit Stirnlampe losgezogen, weil er den Sonnenaufgang an
der Laguna Torre vor dem Cerro Torre erleben wollte, weil dieser Moment
einer der schönsten Blicke dort auf den Cerro Torre bieten soll. Nur
wollte der sich nicht zeigen, blieb eingemummelt in einem Wolkenbett und
der Wind dort war so kalt, das Kalle dort dann auch nicht lange
ausharren wollte. Am letzten Abend, exakt kurz vor unserer Abreise,
zeigten sich nochmal alle Gipfel – auch der Cerro Torre – in ihrer
ganzen Schönheit. Plötzlich guckten sie alle auf El Chaltén herunter und
irgenwie hatten wir das Gefühl, da liegt ein kleines „Ätsch“ für uns
mit in der Luft.
Ruta 40: Mit dem Bus nach San Carlos de Bariloche
Diesmal
haben wir uns entschieden, die Strecke mit dem Bus zu machen – vor
allem aus reisekassetechnischen Gründen, weil die durch das Leben hier,
die Unterkünfte, das Essen u was mensch auf Reisen so braucht, doch ganz
schön strapaziert wird. Abfahrt El Chalten Sonntag abend 22.15 Uhr,
Ankunft Barriloche Dienstag Morgen 2 Uhr. Und wir haben uns extra für
die Route 40 entschieden, weil wir dachten, die geht immer an den Bergen
entlang. Beim Ticketkauf fragten wir, ob dies eine besondere Route sei -
wir ahnungslose Menschen. Woraufhin er nur kurz meinte: Die Amis haben
die Route 66, wir die Route 40. Gut, diese 40 ist insgesamt 4.800 km
lang und ist in langen Etappen aus Schotterstrasse, vor allem in der
Etappe, die wir gefahren sind. Eine Route, bei der im Bus auch keine
Schlafsessel, sondern nur beinahe Schlafsessel angeboten werden. Hier
hab ich endlich Zeit, mal über die Reise zu schreiben und es lenkt mich
auch nichts spannendes da draußen vor den Fenstern ab. Öde Landschaft,
abgewechselt von öderer Landschaft, die wiederum in öde Landschaft
übergeht. Berge schemenhaft ganz weit weg. Die Nacht über
Schotterstrasse, sprich Durchschnittsgeschwindigkeit so um die 40
km/Std. Alle paar km muss der Busfahrer anhalten, weil ihm durch das
Ruckeln die Beifahrertür aufgeht. Irgendwann legt er das von die von der
Tür rausgefallene und beschädigte Fensterscheibe in die Ablage. Morgens
um 5 hält er dann zum Sonnenaufgang an einem kleinen Cafe inmitten im
Nichts. Weit und breit nur Steppe. Der Moment war gut abgepasst, ein
herrlicher Sonnenaufgang, zumindest äusserst ungewohnt für Stadtmenschen
wie wir.
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Mittlerweile sind wir schon 21 Stunden unterwegs und in
diesen 21 Stunden zogen an uns nur staubige Felder, ein bisschen mit
Grasbüscheln bewachsen, ganz selten mal Schafe oder Rinder oder Pferde,
alle Stunden mal eine Estancia, alle paar Stunden mal eine richtige
Ansiedlung oder so vorbei. Unglaublich diese unbewohnten, nicht
kultivierten Weiten. Dann irgendwann mal ein kleines Dorf und im
Vorbeifahren seh ich grad noch ein hauswandgroßes Gemälde der Hand
Gottes. Diego ist überall und auch die Malvinen. Irgendwo anders in der
Pampa huschen wir plötzlich an einem Schild vorbei, wo geschrieben
steht: die Malvinen sind für immer argentinisch. Ein nach wie vor
schnell zündelndes Thema. Nach 27 Stunden Fahrt sind wir dann nachts um
halb zwei in Bariloche angekommen, wo uns erst mal nix anderes übrig
blieb, als im Busbahnhof mit x anderen Rucksacktouristen die Restnacht
zu verbringen. Nur hatten die anderen Isomatten u Schlafsäcke dabei und
wir nicht, und die Sitzbänke waren so vier miteinander verbundene
billige Schalensitze, wo mensch sich auch nicht wirklich hätte drauf
ausstrecken können. Und so verbrachten wir die Reststunden dort mit ein
bisschen lesen, oder mit leeren Augen an die Decke starren, dabei
erraten von welchem am Boden liegenden Kerl die jeweiligen
Schnarchgeräusche kamen, mit immer wieder, manchmal auch schneller
werdenden Kopfwegnicken. Aber dann wurde es hell und die ersten Cafes in
der Stadt schlossen ihre Türen auf.
Nun sind wir also in
Bariloche, wo es auf dem einen Berg einen Humboldstein gibt, die Hotels
Haus Tirol oder Haus Edelweiß oder Alpenglühn oder Matterhorn oder wie
auch immer heißen, wo Schokolade hergestellt wird, die Vorgärten mit
exakt geschnittenen Rasen perfekt wirken und von den Balkonen Begonien
hängen. Im ersten Eindruck wirkt vieles sehr bieder und es strahlt uns
ein deutlicher schweizerischer u deutscher Einfluss im Stadtbild uns
entgegen.
Argentinien - Teil 2
Bariloche
Drei Nächte
verbrachten wir in Bariloche und nach der tollen Zeit in El Chaltén
fühlten wir uns erst mal erschlagen von dem dortigen Stadtleben, den
hunderten von Touristenshops und Restaurants und Hotels und Herbergen
und überhaupt, den Tausenden von Touristen, die wie wir den Reiz dieser
Region herausfinden wollten. Und fast alle – mit Ausnahme von uns beiden
– machten dies mit Auto, was in Bariloche auch tatsächlich Sinn macht.
Wir bewegten uns allerdings mit den „Öffentlichen“. Die Stadt liegt
unglaublich schön. Im Hintergrund die Berge, davor ein irre großer
Gletschersee, der Nahuel Huapi.
Bariloche ist ja bekanntlich der
wichtigste Wintersportort Argentiniens. Unser erstes Hotel hieß auch
Slalom. Dort verbrachten wir den größten Teil des ersten Tages,
heftigste Regenfälle forderten ihr Tribut, außerdem waren wir eh viel zu
müde für große action und verbrachten so die meiste Zeit im Hotel
halbdösend. Am zweiten Tag zogen wir erstmal in eine etwas günstigere
Herberge um, die einerseits sehr angenehm war, andererseits viel dieses
akkuraten Stils an sich hatte, der für uns eher befremdlich ist. Das
Besitzerehepaar zählte jeweils schon 82 Jahre. Plan war dann, den Berg
Otto zu beklettern, da konnten wir von der Unterkunft aus los laufen und
stiegen dann eher der Nase nach, als irgendwelchen wegweisenden, nicht
vorhandenen Schildern folgend, zunächst auf schmalen Pfaden den Berg
hoch. Später kamen wir dann auf eine große Rodelanlage – an der zu
dieser Jahreszeit natürlich Tote Hose war, für den Winter aber viel zu
bieten scheint. Die dortige Bergstation, Refugio Berghof, erinnert vom
Baustil und dem Baumaterial an Oberbayern. Oben dann auf dem Otto pfiff
uns mal wieder ein Wind um die Ohren, der so heftig war, dass man kaum
dabei atmen konnte und der auch dafür sorgte, dass an diesem Tag die
Seilbahn nicht fuhr. Dort – unweit des Gipfels - ist auch eine der
größten Langlaufloipen. Die sind wir dann als alte Langlauffreaks im
Sommerstil entlanggelaufen. Die Flora um Bariloche ist ganz besonders,
eine Mischung von normalen – uns bekannten Nadelbäumen und Südbuchen mit
einer Bambusähnlichen Pflanze, deren Stil original Bambus ist, deren
Blätter aber eher Gräsern ähneln und damit den Wäldern dieser Region
etwas ganz besonderes geben.
Am nächsten Tag sind wir 20 km
immer am Seeufer entlang aus Bariloche rausgefahren in das dortige
Naherholungsgebiet am Wasser. Auch hier das Ufer durchgängig bebaut:
eine edle Strandanlage jagt die nächste, Hotels, Wellness und Spa.
Dazwischen dann einfache Cabanas, sprich Ferienhäuser oder
Appartements, Zeltplätze, Jugendherbergen. Dann wieder Hotels mit Parks
und Golfanlagen. Für jeden etwas. Auch die Gebirgsjäger sitzen hier mit
einer Ausbildungskaserne. Dann tauchte plötzlich ein Schild auf, das zu
einem Kernkraftwerk wies und wir meinten, uns verlesen zu haben. Hier in
diesem Naturschutzgebiet ein Kernkraftwerk, das geht doch nicht. Ich
frage den im Bus neben mir sitzenden Postboten und der bestätigt, ja
hier ist ein Kernkraftwerk, das soll aber sicher sein, fügt er
schmunzelnd seiner Bestätigung hinzu. Worauf ich sage: wie überall auf
der Welt. Und er, na ja, es gibt eben gute und beißende Hunde. Er als
Briefträger muss es ja wissen. Wir kommen ins Gespräch und er erzählt,
dass es ein deutscher Wissenschaftler war, der schon kurz nach dem Krieg
inmitten des Naturschutzparks auf der Halbinsel vor Bariloche ein
Kernkraftwerk bauen wollte, dann aber von den Amis nach USA geholt
wurde. Ich frag dann nur kurz, ob es denn hier viele Deutsche und
Schweizer und überhaupt Europäer gäbe. Er (so Mitte Dreißig der gute
Postbote): hier war das Zentrum der Deutschen. Und dann schimpft er los,
wie es denn möglich war, dass so jemand wie Priebke hier über Jahre
den Posten des Leiters der Deutschen Schule ausüben konnte und angeblich
keiner davon gewusst haben wollte. Ein einflußreicher Posten, fügt er
hinzu. Und solche Leute gab es mehrere hier. Sagt er und wirkt dabei
nicht wirklich zufrieden. Überhaupt meint er, dauert es überall immer
viel zu lange, bis solche Leute bestraft würden, überall in der Welt
auch in Argentinien, und manche werden es nie. Und in Bariloche hätten
diese Leute vieles nach ihrem Stil gebaut, den sie aus ihrem
Hitlerdeutschland mitgebracht hatten, wie den Berghof zum Beispiel, oben
an der Rodelbahn. Unsere Assoziation war also nicht verkehrt. Dann
steigt er aus und ich war beeindruckt von diesem Gespräch im Bus.
Am
nächsten Tag sitzen wir noch so ein bisschen mit dem Chef unserer
Herberge zusammen. Er bietet uns Wein an, nachdem Kalle sich den Abend
vorher als Trainer geoutet hat – und das uns um 12 Uhr mittags. Es kann
es dann auch nicht wirklich verstehen, dass Kalle nichts davon trinken
will. Dabei stellt sich raus, dass er weitläufig verwandt ist mit
Silvio, sagt er schmunzelnd und nicht ohne den gewissen Stolz in der
Stimme. Er gibt uns die Rechnung und darauf ist sein Nachname zu lesen:
Berlusconi. „Ein Vetter von mir sieht exakt aus, wie Silvio“, fügt er
noch hinzu. Und ja: „Deutsche, ja die gab es viel hier. Gerade hier in
diesen Viertel wohnten eine Menge von ihnen. Der Priebke, der wohnte da
vorne in unserer Straße, keine zweihundert Meter weg von uns. Der hat
das nie geheim gehalten, wer er ist. War ja auch lange Jahre in der
Deutschen Schule tätig. Den kannten die Leute.“ Wir sind also in
Bariloche exakt in dem Viertel gelandet, wo sich damals die ganzen
Faschos niedergelassen haben um dort die reibungslose Fortsetzung ihres
Lebens gestalten zu können. Sie trafen sich dort immer wieder, meint
Vermieter Berlusconi, und er denkt, dass der Eichmann auch ab und an
dabei war. Ob sie irgendwie Einfluss genommen hätten politisch auf das
Geschehen im Viertel, frag ich den heute 82jährigen Vermieter, worauf er
meint, nee, nee, die waren alle ruhig und waren mit dem, was sie
machten auch sehr progressiv. So richtig mehr will er nicht dazu sagen,
er, der in den 50er Jahren aus Buenos Aires nach Bariloche kam, weil er
hier Arbeit als Berg- und Tourismusführer fand. Und so richtig wollen
wir beide auch nicht mehr viel weiter ihn befragen, wie er sich denn mit
ihnen verstand, von denen er ja anscheinend wußte, wer sie sind, und
die er als nett, ruhig und eben progressiv beschrieb.
Hab nochmal
gedacht, wie schade es war, dass wir damals, 1994-95, keine Gelder für
die Untersuchung bekommen haben, die wir an Orten wie Bariloche,
Valparaiso, Blumenau und wie all die anderen Orte in Südamerika heißen,
machen wollten, in denen sich die Faschos seelenruhig niederlassen
konnten. Wir wollten darin feststellen, welchen Einfluss sie ins
Alltagsgeschehen ihrer neuen Orte nahmen, wie sie auf die nachfolgenden
Generationen wirkten usw. völlig unabhängig davon, welche Rolle sie in
der großen Politik spielten, das wusste man ja zum großen Teil damals
schon zur Genüge.
Gut, mit diesen Gesprächen, mit den Bildern
dazu im Kopf, mit dem, was wir an deutschem Einfluss zum Teil in
Bariloche vorfanden, fiel es uns beiden schon schwerer, diesen Ort
einfach nur in seiner Schönheit zu genießen, die unbestritten vorhanden
ist. Die aber just auch zu dieser Zeit von viel zu vielen Touristen
bestaunt werden wollte, so dass man irgendwie innerhalb der Stadt das
Gefühl hatte, in einer sich beständig fortbewegenden Schwabelmasse zu
befinden. Und für uns natürlich ganz hart der Moment, abends um 20.30
Uhr erstmal fast ne Stunde vor einem Restaurant in der Schlange anstehen
zu müssen, bevor wir im Lokal einen Tisch bekommen konnten. Dabei dann
durch die Scheiben die Unmassen von Fleisch auf den Tischen zu sehen,
die später auch – oberlecker zubereitet - in unsere Mägen wanderten, so
gegen 22.30 Uhr dann. Aber Mensch gewöhnt sich an alles.
Und so
packten wir wieder unser Gepäck zusammen, verabschiedeten uns von Herrn
Berlusconi und bestiegen den nächsten Bus in Richtung Mendoza. Unsere
Reise geht immer weiter gen Norden. Dieses Mal sollte die Fahrt nur gut
17 Stunden dauern, woraus dann aber doch wieder mehr als 21 wurden,
weil wir mitten in der Nacht in Neuquen in Straßenblockaden Streikender
Campesinos kamen. Solche Blockaden sind hier keine Scheinblockaden,
sondern sperren tatsächlich die Straßen ab und das für Stunden. Wir
erklärten uns – als wir den Grund unserer Warterei erfuhren – natürlich
solidarisch mit den mehr Lohn fordernden Bauern, hätten aber gerne dann
wenigstens aus dem Bus aussteigen und uns mit den Leuten unterhalten
wollen, aber das ging nicht, weil wir ja ziemlich weit weg davon standen
und der Bus dann keine Rücksicht auf uns komischen Alemanes genommen
hätte im Moment der Blockadenöffnung. Und so blieb uns wieder nichts
andres übrig, als irgendwie müde vor uns hin zu starren und immer wieder
recht erfolglos Einschlafversuche zu unternehmen. In Mendoza haben wir
bisher nur den Busbahnhof gesehen, dort dann gleich ein Ticket für die
Nachtfahrt nach Buenos Aires nächsten Dienstag und das Ticket für die
Weiterfahrt nach Uspallata gekauft.
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Uspallata und die Anden
Die
vorletzte Station in Argentinien. Kaum einer kennt diesen Ort – wir
selbst bis vor kurzem auch nicht. Er liegt auf der Strecke von Mendoza
nach Santiago de Chile, in einem Tal der Vorandenkette. Super Lage auf
knapp 1.800 m. Vor allem völlig grün. Ein sehr fruchtbares Tal und das
dort angebaute Gemüse und Obst ist sehr schmackhaft und gibt es auch
günstig zu kaufen. Dabei fällt mir ein, dass uns schon in Ushuaia
aufgefallen war, dass alles Obst, was wir hier gekauft hatten, sehr
intensiv jeweils nach der Frucht schmeckt. Bei einem Frühstück dann mit
Neuseeländern – noch in Ushuaia – sagten die plötzlich, dass ihnen
aufgefallen sei, wie gut hier das Obst schmeckt. Eine kleine
Nebenbemerkung also.
Uspallata ist Ausgangspunkt für Fahrten ins
Höhere, in Richtung Aconcagua, dem höchsten Berg der Anden, dem höchsten
Berg Argentiniens und dem höchsten Berg Lateinamerikas. Und Uspallata
ist die letzte größere Ansiedlung in Argentinien vor der chilenischen
Grenze mit stark von dicken Lastern und Bussen befahrener
Durchgangsstraße, an der natürlich unser Hotelito steht. Da sind wir
jetzt und wenn ich bisher schon kaum noch wusste, wie ich all die
Naturschönheiten, die wir gesehen haben, beschreiben soll, dann fehlen
mir jetzt erst recht die Worte. Spektakulär, fantastisch, wunderschön,
das sind so die Worte, die noch in Frage kämen, aber manchmal denk ich
auch dabei, dass drückt es noch nicht wirklich aus. Ich glaub ich hab
noch nie in meinem Leben vorher so eine Weite gesehen, erlebt und
gefühlt.
Der Weg zum Aconcagua Nationalpark dauert von Uspallata
mit dem Bus gut anderthalb Stunden und bietet eine Kulisse, die
unglaublich schön und weit ist. Hier wurde übrigens „Sieben Jahre in
Tibet“ mit Brad Pitt gedreht – wußten wir auch nicht bisher, aber das
steht hier in allen möglichen Broschüren. Den habt ihr doch sicherlich
alle gesehen, wir auch. Und nun haben wir diese Berge, die ich bisher in
Asien geortet hatte, plötzlich in all ihrer Schönheit vor uns. Ständig
wechselnde Farben, wechselnde Formen, wechselndes Gestein. Du siehst
Gesichter, mal Haifischflossen, mal Terrassen, dann ein Gletscher, der
einem Körper gleicht. Mal leuchtet alles in einem tiefen Terrakottarot,
dann wieder grünlich, dann grau, dann denkst du es hätten sich
Salzwüsten da oben in den schwindelnden Höhen abgelagert, dann die
Schneekuppen, auch am Aconcagua und dann die bizarren Wollkengebilde.
So geht es die ganze Zeit. Neben der recht guten Straße verläuft eine
alte, zum Teil verwehte, zum Teil mit Steinbrocken verschüttete,
manchmal noch ganz unversehrt aussehende Bahnstrecke. Ein paar
verfallene Häuser tauchen an dieser Strecke hin und wieder auf, wo
mensch sich fragt, wer lebte da drin und warum? Unter Menem wurde die
Bahnlinie eingestellt. Bedauerlich. Aber es gibt ja unsäglich vieles,
was unter Menem schief lief und worunter Argentinien heute noch leidet.
Wir sind mit Jorge aus Mendoza unterwegs, der uns in Uspallata mit
genommen hat und eben mal nach Valparaiso an der chilenischen Küste
fährt, um dort seine Frau abzuholen. Ach ja, wir trampen hier viel und
meistens läuft es gut und bringt interessante und spannende Gespräche.
Jorge will irgendwo noch vor der chilenischen Grenze tanken, aber die
Tankstelle erinnert an den Bahnhof von 12 Uhr mittags. Und nach ein paar
mal hupen kommt gemächlich der Tankwart an und ruft ihm schon von
weitem zu: no hay, es gibt kein Benzin, die Tanks sind leer. Jorge hat
glücklicherweise noch genügend Sprit im Tank. Auch hier in den Anden
gibt es noch einen Wintersportort, noch auf argentinischer Seite, der
jetzt völlig verwaist da liegt. Eigentlich gibt es hier kaum
Besiedelung, einzig Militärs – Gebirgsjäger natürlich, Gendarmerie und
Zoll haben hier ein par kleine, Kasernenähnliche Ansiedlungen. Aber dann
kommen doch noch ein paar kleine Höfe mit vielen Maultieren und Pferden
und Mengen von Heuballen um die Behausung gestapelt. Die Besitzer leben
als Schlepper für die Touristenexpeditionen auf den Aconcagua mit
seinen knapp 7000 Metern. Solche Expeditionen kann man heutzutage per
internet buchen. Irgendwann kommt auch ein Friedhof der am Aconcagua
abgestürzten Andinisten – ich hab mich da ja tatsächlich mal verplappert
und Alpinistas gesagt, das kam natürlich nicht so gut. Ein schaurig
schöner Platz mit weitem Blick ins Tal und auf die umliegenden
Gebirgsmassiven. Zum Teil wurden den abgestürzten Bergsteigern ihre
Eisen oder Schuhe oder Seile mit ans Grab gelegt. Ein bewegender Ort.
Jorge
setzte uns also am Sonntagmorgen bei Las Cuevas ab, der Eingang zum
Aufstieg zum ehemaligen Grenzpunkt zwischen Argentinien und Chile, den
Bermejopass, auf dem seit Anfang des 20sten Jahrhunderts eine große
Christus Statue steht. Damals als Symbol des Friedens von beiden Ländern
gemeinsam gebaut. In unendlich langen Serpentinen führt ein steinig
staubiger und acht Kilometer langer Weg 800 Höhenmeter hinauf. Eine
heftige Strecke und oben angekommen, müssen wir uns an diese Höhenluft
gewöhnen und da kommt doch glatt ein Jogger recht locker in die letzte
Kurve vor den Gipfel gelaufen. Jedem das Seine.
Dort oben steht
dann auf einem Schild, dass wir uns auf 4.000 Metern über dem
Meeresboden befinden. Kalles Lieblingsspielzeug, sein neues Handy mit
dem GPS drin, zeigte aber nur 3.960 Meter an und da wollten wir doch
lieber dem alten Schild Glauben schenken. Dort oben war es fantastisch.
Zwei uralte Steingebäude, die ehemaligen Grenzstationen, daneben das
Christusmonument eskortiert von der chilenischen und der argentinischen
Flagge. Wir stiegen noch eine kleine Anhöhe hinauf, um von da aus in
aller Ruhe, ohne die vielen in Autos, Kleinbussen oder Motorrädern
angefahrenen Massen diesen Moment der Höhe zu geniesen – wobei wir
gestehen müssen, dass wir ab etwa der Hälfte des Anstiegs erfolgreich
getrampt haben, es war einfach irre anstrengend. Kein Schatten, ständig
viel Staub von den Autos und dann die dünne Luft. Oben konnten wir die
Spitze des Aconcagua sehen und diesen besagten riesigen Gletscher, der
wie ein menschlicher Körper sich am Bergmassiv herunter schlängelt. Und
als besonderes Bonbon für uns, kamen just an diesem Sonntag zig Reiter
und Reiterinnen den Berg herauf geritten. Eine Prozession, der
sogenannte San Martinsritt – der die Unabhängigkeit Chiles und
Argentiniens vor 201 Jahren an diesem Ort entscheidender Schlachten
gewidmet ist.
Mit um die 10000 Pferden und Mauleseln überquerte
das Heer des Generals San Martin – nach dem heute jede argentinische
Stadt eine der Hauptstrassen benannt hat – 1817 die Hochanden u.a. auch
an dem Pass, an dem wir da grade stehen. Sie waren vollbeladen mit
Waffen und tragbaren Brücken – die waren nötig, um damals die engen
Schluchten überwinden zu können.
Ein am Gipfel anwesender Major
der argentinischen Armee, der mit einigen Soldaten oben die Prozession
„schützen“ wollte (warum entzieht sich unserer Kenntnis), erzählte dann
auch, dass dies im letzten Jahr zur Feier des Bicentenarios spektakulär
gewesen sein muss.
Bei unserem Abstieg trafen wir also auf diese
Prozession, die sich, angeführt von einigen Fahnenträgern und einem
eine Madonna tragenden Pferd durch Staubwolken den Berg hinauf kämpften.
Im der gleißenden Sonne wirkte dies alles wie ein Szenarium im
Wüstenstaub.
Um dem Staub der Serpentinen zu entfliehen und
gleichzeitig die eigentlichen 8 km auf weit weniger als die Hälfte
abzukürzen, stiegen wir die rund 800 Höhenmeter fast senkrecht runter.
Andere hatten uns dafür schon Spuren gelegt. Nur einmal sind wir davon
etwas abgekommen und da hatte ich auch gleich schon eine Heidenangst auf
dem an dieser Stelle vorhandenen Geröll keinen Halt mehr zu finden und
kopfüber den Restberg runterzukullern, was sicherlich keine Freude
gewesen wäre. Aber alles lief gut.
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Auch am letzten Tag in den Bergen, wo wir innerhalb des
Nationalparks nochmals in Richtung Aconcagua hoch liefen – und uns
unzählige vollbeladenen Maultiere von oben herab entgegenkamen,
getrieben von ihren verwegen wirkenden Reitern.
Über die alte
Eisenbahnlinie, die an diesem Streckenabschnitt etliche halb verfallene
Wellblechtunnels – die damals als Schneeschutz dienten – noch stehen
hatte, liefen wir ein gutes Stück zurück vom Aconcagua Nationalpark
Richtung Puente del Inca, einer fantastischen Brücke, die durch
mineralhaltiges Wasser eine goldene Färbung erhielt und sich knappe 50
Meter über den dortigen Fluß spannt. Die Brücke darf heutzutage leider
nicht mehr übequert werden, da auf dem dahinter liegenden Gelände vor
einiger Zeit herunterfallende Steinbrocken ein dortiges Thermalbadhotel
zerstörte.
Zurück nach Uspallata nahmen uns dieses Mal zwei
Kolumbianerinnen aus Cali mit, die zwar immer wieder betonten, wie
landschaftlich toll Kolumbien sei, aber diese Andenlandschaft, durch die
wir da gemeinsam fahren, schlicht und einfach einmalig ist.
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In
Uspallata angekommen, standen wir direkt inmitten eines
Solidaritätskonzertes – No a la mineria, si al agua. Gegen die Minen –
für das Wasser. Diese ganze Ecke um Uspallata und weiter Richtung Norden
war früher schon Minengebiet – Gold und Silber. Der Abbau ist aber
längst eingestellt. Nun wurden neue Kupfervorkommen entdeckt, die eine
kanadische Firma abbauen will – und wahrscheinlich seien da auch noch
Goldvorkommen, niemand sagt was genaues. Die Gegnerinnen und Gegner
wollen diese neuerliche Ausplünderung der Erde verhindern, befürchten
dass der einzige Fluß in dieser Region, durch den eben dieses Tal von
Uspallata so fruchtbar und saftig grün wurde, durch den Abbau
kontaminiert würde. Die Stadt ist gespalten, wobei in den Läden und an
Hauswänden und Mauern viel mehr die Parolen der Gegner zu lesen sind.
Doch sie befürchten, wie überall auf der Welt, dass hier Vernunft keine
Rolle spielt, sondern einzig und allein Geld. Und für die
Abbaukonzessionen ist auch wieder viel Geld im Spiel. Der Pfarrer
unterstützt offensiv die Gegner und in vielen kleinen Läden hängen
Poster oder Aufkleber gegen die Minen. Der Bürgermeister unterstützt
uneingeschränkt das Konzept des konzessionierten Abbaus der
Bodenschätze.
Das Konzert wird jäh durch ein saftiges Gewitter mit kräftigem Hagel unterbrochen.
Was
bedeutet eigentlich Uspallata, fragen wir am letzten Morgen die
Hotelangestellte, die mit uns die Abrechnung macht. Sie schreibt dann
für uns auf einen Zettel: Uspa – Llata und sagt, dies bedeute das Tal
des Todes, oder Bolson de la muerte: der Todessack. Erstaunt bleiben wir
vor ihr stehen. Warum dieses saftige, fruchtbare Tal, das Tal des Todes
heißen soll, leuchtet uns nicht ein, daher fragen wir sie, warum. Weil
hier unendlich viele Ureinwohner umgebracht wurden. Von den spanischen
Besatzern, dann im Laufe der Jahrhunderte immer wieder bei irgendwelchen
Schlachten. Immer, wenn hier Leute Häuser bauen, stoßen sie auf die
Gebeine, es gibt keinen speziellen Friedhof, das ganze Tal ist der
Friedhof, fügt sie dann noch hinzu. Ein kleiner geschichtlicher Exkurs
zu Uspallata, den wir als solchen nun natürlich auch nicht verschweigen
wollen.
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Nun
packen wir wieder die Koffer und gleich haben wir wieder eine
Nachtfahrt vor uns, von Mendoza nach Buenos Aires, wo zur Zeit eine der
heftigsten Hitzewellen die Menschen plagt. Au weia. Und in mir drin
spüre ich die große Lust, nochmal wieder hier an den Aconcagua zurück zu
kommen, mit zwei drei Wochen Zeit in der Tasche und den nötigen Euros,
um eine dieser Besteigungen machen zu können, wo die Maulesel das Gepäck
in die Höhen schleppen, wo es auf über 5000 Meter noch das höchste
Hotel der Erde gibt und von wo aus bei genügend langer Akklimatisierung
dieser Berg bestiegen werden könnte. Der Traum, den ich mir von hier
mitnehme in die nun auf uns wartende Hektik der Großstadt und den dort
auf uns wartenden Arbeiten.