Abtreibungsverbot in El Salvador
Aufgrund des restriktiven Abtreibungsgesetzes können Frauen in El Salvador sogar bei Fehlgeburten wegen Mordes verurteilt werden. Ein Gespräch mit der Aktivistin Marcela Zamora, die sich öffentlich zu einer Abtreibung bekannte und so die Debatte über eine Liberalisierung vorantrieb.
Evelyn Hernández, 19 Jahre, eine der Frauen, die der Abtreibung beschuldigt werden, wird in Handschellen abgeführt. Urheber/in: Colectiva Feminista/Agrupación Ciudadana por la Despenalización del Aborto Terapéutico, Ético y Eugenésico. All rights reserved.
Am 21. August 2017 bestätigte das Chilenische Verfassungsgericht die Gesetzesänderung zur Entkriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs in drei Fällen. Damit sind es seit August 2017 noch sieben Länder, in denen ein absolutes Verbot eines Schwangerschaftsabbruchs besteht. Das sind Malta und die sechs mittel- und südamerikanischen Länder Dominikanische Republik, El Salvador, Haiti, Honduras, Nicaragua, Surinam.
Im mittelamerikanischen El Salvador geht das 1998 eingeführte restriktive Abtreibungsgesetz weit über die Kriminalisierung von Frauen hinaus, die einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen lassen wollen. Wenn bei Fehlgeburten oder fehlender medizinischer Hilfe das Kind die Geburt nicht überlebt, kann die Frau wegen Mordes zu zehn bis 40 Jahren Haft verurteilt werden. Betroffen davon sind ausschließlich die armen Frauen: Frauen aus der Unterschicht, Dienstmädchen, Haushälterinnen, Landarbeiterinnen, die bei Komplikationen in staatlichen Kliniken Hilfe suchen.
Im August 2017 sind 24 Frauen bekannt – die Dunkelziffer mag deutlich höher liegen -, die rechtmäßig verurteilt ihre Strafen absitzen und für deren Freilassung bzw. Begnadigung sich ein Bündnis verschiedener Frauen- und Menschenrechtsorganisationen einsetzt.
Seit knapp 20 Jahren gilt das absolute Abtreibungsverbot nun in El Salvador. Alle bisherigen Kampagnen für die Liberalisierung des Gesetzes prallten an der knallharten Betonwand der Befürworter des vorhandenen Gesetzes ab.<
Die Debatte über eine Liberalisierung ist inzwischen auf der Tagesordnung
Im Oktober 2016 präsentiert die FMLN-Abgeordnete Lorena Peña einen Vorschlag zur Liberalisierung des Gesetzes, bei dem in vier Fällen eine Abtreibung straffrei möglich wäre:
- bei Gefahr für das Leben der Mutter,
- wenn die Schwangerschaft Folge einer Vergewaltigung ist oder durch Zwangsprostitution zustande kam,
- wenn der Fötus nach der Geburt nicht überlebensfähig ist und
- bei schwangeren Kindern.
Ende Januar 2017 veröffentlicht die Dokumentarfilmerin und Journalistin Marcela Zamora eine Kolumne auf der Seite des Medienportals El Faro. Sie erklärt öffentlich: „Ich habe abgetrieben“ und schiebt damit die Debatte um das Recht auf Entscheidung über den eigenen Körper innerhalb des Landes weiter an. Sie erhielt etliche Hassmails, aber auch viele zweifelnde und zustimmende Rückmeldungen.
Im März 2017 mischt sich erstmals öffentlich ein ARENA-Abgeordneter, Juan Valiente, in die Debatte um die Liberalisierung des Gesetzes ein. Ein Shitstorm bricht daraufhin seitens konservativer Kreise in den sozialen Medien über ihn und seine Pro-Liberalisierungs-Haltung herein.
Im August 2017 liegen dem Parlament zwei Reformanträge vor. Die Debatte bleibt auf der Tagesordnung. Noch warten die Frauen El Salvadors auf den parlamentarischen Durchbruch. Doch Chile lässt hoffen.
Wenige Tage vor Publizierung ihrer Kolumne konnte unsere Autorin Erika Harzer in San Salvador Marcela Zamora zu ihrer Motivation für dieses öffentliche Bekenntnis befragen.
Auszüge aus dem Interview mit Marcela Zamora
Erika Harzer: Marcela, womit willst Du an die Öffentlichkeit gehen?
Marcela Zamora: Ich arbeite zurzeit in zwei Projekten. Das eine ist eine Kampagne zur Reduzierung von Gewalt und Tötungsdelikten in El Salvador und die andere Kampagne trägt den Titel „Ich bin auch eine von denen“, die sich mit der Reform des Abtreibungsgesetzes in El Salvador beschäftigt. Unsere Idee ist, dass Frauen aus allen möglichen Ländern, in denen ein Schwangerschaftsabbruch im Rahmen der von uns gewünschten vier möglichen Gründen erlaubt ist, ihre erlebten Erfahrungen mit einer Abtreibung aus einem der vier Gründe auf einer Website innerhalb der sozialen Netzwerke erzählen.
Was ist Dein persönlicher Anteil in dieser Kampagne?
Ich habe eine Kolumne geschrieben, mit deren Hilfe die Kampagne gestartet werden soll. Damit will ich die vorhandene Angst durchbrechen, damit darüber geredet werden kann. Uns unsere Erfahrungen mitzuteilen, ist so wichtig. Wir dürfen darüber nicht in Schweigen verharren. Weil wir über Jahre geschwiegen haben, haben wir dieses jetzt geltende Gesetz.
Ich hatte vor rund 12 Jahren einen Schwangerschaftsabbruch. Der Fötus hatte ein Blutgerinnsel am Kopf. Trotz von mir eingehaltener Bettruhe wurde das Gerinnsel mehr statt weniger. Ich war Studentin und wohnte in einiger Entfernung zu einem Hospital. Ich lebte in einem Land, in dem ein Abbruch möglich war. Mein behandelnder Arzt erklärte mir, dass ein platzendes Gerinnsel zu meinem sofortigen Tod führen könne und riet mir zum sofortigen Schwangerschaftsabbruch im Krankenhaus. Diese Option ergriff ich. So habe ich abgetrieben. Alles ging gut. Spezialisten nahmen den Eingriff vor.
Ich hatte überhaupt keine Gewissensbisse. Meine Gedanken waren: Ich möchte weiterleben und später auch eine Familie haben. „Ich wollte schon Mutter werden. Aber zuerst einmal wollte ich weiterleben, wollte leben!“ Und deswegen habe ich abgetrieben. Ich bin gläubig, nicht katholisch, aber gläubig und ich denke, das hat überhaupt nichts mit dem Glauben eines Menschen zu tun. Egal, ob du katholisch bist, dem Islam angehörst, Jude bist oder Atheist – es hat es nichts mit dem Glauben zu tun, wenn du am Leben bleiben willst.
Maria Lopez Vigil, Feministin und Herausgeberin der Publikation ENVIO in Nicaragua sieht die Religion als eine der schwierigsten Hürden, die für die Frauen genommen werden müsste. Der Umgang mit der verinnerlichten Schuld, gesündigt zu haben und nicht zu wissen, wie sich davon befreien zu können. Wie hast du es für dich geschafft, keine Schuldgefühle zu haben?
Das ist eine soziale Last, eine soziale Schuld. So sind die meisten von uns Frauen erzogen worden. Mit einer Religion, die auf Schuld basiert. Wir tragen die Schuld dafür, geboren zu sein. Das ist unser aller Ausgangspunkt: Wir sind schuldig, weil wir geboren sind, und wir sind schuldig, wenn wir nicht gebären! Dieser Blick auf die Frau ist kein Blick auf Leben. Aber: Wir SIND Leben! Wir sind nicht nur die Lebensspenderinnen. Wir sind nicht auf die Welt gekommen, nur um zu gebären. Ich ganz allein, so wie ich bin, bin Leben, ohne meine Kinder, ohne meinen Mann oder meine Geschwister. Ich für mich alleine repräsentiere Leben. Und ich kann Leben geben. Das sind zwei ganz unterschiedliche Betrachtungen.
Vermutlich hatte ich keine Schuldgefühle, weil ich immer gegen diese religiöse Festschreibung der Schuld war. Für mich ist es genauso wertvoll und wichtig weiterleben zu wollen, wie auf ein Wunder zu hoffen. In meiner Kolumne sage ich den Frauen, die aus religiösen Gründen gegen die Reform des Gesetzes sind: Diese Reform zwingt euch nicht, einen Abbruch vorzunehmen! Diese Reform erlaubt aber anderen Frauen, eine Entscheidung treffen zu können. Das ist der Unterschied. Wenn für sie abtreiben bedeutet, in die Hölle zu kommen, und wenn sie auf ein Wunder hoffen wollen, um am Leben zu bleiben, ist das ok. Wartet darauf!
Aber warum sollte ich darauf hoffen müssen? Warum ich als Atheistin, die nicht an deinen Gott glaubt, oder ich Muslimin, die auch nicht an deinen Gott glaubt, warum sollte ich auf ein rettendes Wunder deines Gottes warten? Die Gesetzesreform erlaubt Entscheidungen. Du kannst dich für oder gegen eine Abtreibung entscheiden. Du kommst also in den Himmel, wenn du dich gegen eine Abtreibung entscheidest und auf das Wunder des Lebens wartest. Ok! Aber erwarte bitte nicht von mir, dass ich auf ein Wunder warte, an das ich nicht glaube.
Gab es bereits Frauen in El Salvador, die sich öffentlich dazu bekannt haben, abgetrieben zu haben?
Das kann ich jetzt so nicht mit hundertprozentiger Sicherheit bestätigen. Auch wenn ich bisher nichts Entsprechendes gehört habe, können sich Frauen durchaus schon entsprechend geäußert haben. Die organisierte Frauenbewegung kämpft ja schon seit Jahrzehnten in El Salvador. Das ist kein Kampf, der von mir ausgeht. Ich habe mich den feministischen Gruppen angeschlossen, die für dieses Thema kämpfen. Ich bin Teil von ihnen und habe mich in diesem Zusammenhang auch zum Thema schlau gemacht.
Was sind deine Erwartungen mit deiner Kolumne? Werden sie dich kreuzigen?
Ich weiß es nicht. Wenn Du die Kolumne liest, wirst du sehen, sie ist mit viel Liebe geschrieben, ist nicht mit Hass angefüllt. Sie will dich nicht dazu zwingen, deine Meinung zu ändern. Ich will niemanden unter Druck setzen, seine Meinung zu ändern. Was ich will, ist, eine Entscheidungsmöglichkeit zu haben. Das ist alles. Und dass wegen einer Abtreibung oder einer Fehlgeburt niemand für 30 Jahre ins Gefängnis gesperrt wird. Es geht um Föten, nicht um Babys. Ein großer Teil der Gesellschaft wird mich vermutlich verteufeln. Aber durch meine Arbeit zu Themen wie Menschenrechte, zur Geschichtsaufarbeitung und der genderspezifischen Arbeit werde ich Unterstützung erhalten, ebenso durch mein Lebensumfeld und aufgrund meiner eigenen Geschichte.
Es ist bitter nötig, dass eine Person wie ich erzählt, was ihr widerfahren ist. Zumal ich nicht darum gebeten habe, dies zu erleben. Es ist passiert. Ich hatte keine Vorstellung davon, was eine Abtreibung sein könnte. Ich wusste, es gibt sie, aber ich hatte keine Meinung dazu, ob sie gut oder schlecht wäre. Es war schlicht und einfach eine Option für mich. Meine Eltern erzogen mich sehr freiheitlich, obwohl beide sehr gläubig sind, sehr katholisch.
Sicherlich wird es sehr negative Reaktionen vieler Menschen geben. Doch hoffe ich, bei den zweifelnden Menschen ein Bewusstsein dafür schaffen zu können, für sich selbst Optionen wählen beziehungsweise entscheiden zu können. Ich möchte niemanden davon überzeugen, dass eine Abtreibung gut wäre. Eine Abtreibung ist nicht gut. Ich habe eine Abtreibung erlebt und weiß, dass es ein schwerer Eingriff in meinen Körper ist. Ich habe ihn überlebt. So ein körperlicher Eingriff ist keine schöne Sache. Aber es ist eine Option, die ich wahrnehmen kann.
Wenn eine Frau Brustkrebs hat, kann sie sich für die Abnahme der Brust entscheiden. Das ist ein schwerer Eingriff in deinen Körper, aber du kannst dich dafür entscheiden. Meine Mutter hat sich dafür entschieden, als sie Brustkrebs hatte. Ich habe mich dafür entschieden weiterleben zu wollen und daher den Eingriff vornehmen lassen. Was ich möchte, ist eine größere Toleranz diesbezüglich. Die Gesetze sollten für uns alle gelten und stimmig sein, nicht nur für die gläubige katholische Bevölkerungsgruppe.
Viele Schwangerschaften sind entstanden durch Missbrauch oder Vergewaltigungen. Die Frauen werden bei Fehlgeburten oder Abbruch verurteilt. Die Täter bleiben straffrei.
Ich hatte für die PNUD zum Thema Schwangerschaften Jugendlicher recherchiert. 2015 gab es 1.444 schwangere Mädchen, die jünger als 15 Jahre alt waren. Bei der Präsentation dieser Fakten war mir wichtig klar zu definieren, dass all diese 1.444 schwangeren Mädchen Gewalt erlebt haben, dass die Schwangerschaften Ergebnisse von Vergewaltigungen waren. Ich stellte die Frage, wie viele der 1.444 Männer, die diese Mädchen vergewaltigt haben, sind im Gefängnis? Ich versichere dir: keiner! Das ist scheinheilig, super heuchlerisch.
Warum muss das Mädchen, dass das Kind von diesem Vergewaltiger nicht haben will, 30 Jahre hinter Gitter, während sich zu dem Vergewaltiger niemand äußert? Das gültige Gesetz trifft nur die Armen, die Menschen, die kein Geld haben, einfache Menschen, Menschen mit dunkler Hautfarbe und am meisten die betroffenen Frauen. Das Gesetz müsste uns alle schützen. Aber hier schützt das Gesetz lediglich die Wohlhabenden. Die, die nichts haben, sind immerzu schuldig.
Ich weiß von einem Anwalt der betroffenen Frauen, der oft als „Verteidiger von Mörderinnen“ beschimpft wird. Er kritisiert, dass die Männer, die die Frauen vergewaltigt haben, unbehelligt blieben. Was müsste sich gesellschaftlich verändern?
Das ist so, und du musst das letztlich auf alles übertragen. Zum Beispiel die Geschichte des Gordo Max, des dicken Max, eines bekannten Fernsehmoderators. Ein Päderast, der Sex mit Minderjährigen hat und einem Netzwerk angehört, über das Minderjährige gehandelt werden. Ihm wird der Prozess gemacht, und was passiert in den sozialen Netzwerken? Frauen - Anwältinnen, gebildete Frauen - bedauern dort den „armen“ Gordo Max. Der Ärmste! Erst haben ihn die Mädchen verführt und jetzt wollen sie ihn ins Gefängnis stecken. Ich kenne Anwältinnen, die sich so geäußert haben.
Wir sind mit einer Gesellschaft konfrontiert, in der die Frau keine Bedeutung hat. Das Gesetz zum Verbot des Schwangerschaftsabbruchs ist ein Gesetz, bei dem die Frau keine Bedeutung hat. Die Frau ist lediglich ein Objekt, das Leben auf die Welt bringt. Das ist alles. Was ist mit ihrem Leben, wo spielt dies eine Rolle? Innerhalb der Gesetze ist sie lediglich als lebensbringendes Objekt berücksichtigt. Dem Fötus, den sie in sich trägt, wird ein Wert beigemessen, aber ihrem Leben nicht.
Veröffentlicht am 11. September auf dem Online Portal der Heinrich-Boell-Stiftung.
Hinweis: Am 16.09.2017 veranstalt das "Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung" einen Aktionstag für "Leben und Lieben ohne Bevormundung" aus Anlass der Demonstration "Marsch für das Leben" von Abtreibungsgegner/innen.