Garifuna Strassensperre in Honduras © Erika Harzer
Garifuna Strassensperre in Honduras © Erika Harzer

Erstveröffentlichung: Amnesty Journal 4.1.2021

Repression und Widerstand an der honduranischen Karibikküste

Im Juli 2020 wurden Landrechtsaktivisten entführt, die seitdem verschwunden sind. Nicht zum ersten Mal trifft es die indigene Bevölkerungsgruppe der Garífuna. Wenn er zu den Ereignissen vom 18. Juli in seinem Heimatort El Triunfo de la Cruz befragt wird, hat Cesar Benedith eine klare Antwort: "Es war eine perfekt vorbereitete Aktion."

Mehr als zehn vermummte und schwerbewaffnete Männer kamen im Morgengrauen in Jeeps und Motorrädern in den Ort gerast. Sie trugen Einsatzwesten der Ermittlungspolizei DPI. Gewaltsam verschleppten sie den Vorsitzenden des Gemeinderats Snider Centeno, Milton Martínez und Suami Mejia, die dem Landverteidigungskomitee angehören, sowie Gerardo Trochez. Ebenfalls entführt wurde Junior Juarez, ein enger Freund der Gemeinde.

Als die Nachbarn Cesar Benedith weckten, der ebenfalls der Gemeindeverwaltung angehört, hatte das Kommando Snider Centeno bereits aus dessen Haus entführt. Obwohl viele verängstigt und fassungslos waren, versammelten sich immer mehr Nachbarinnen und Nachbarn und versuchten eilig, den Ort abzusperren. Jemand rief die Polizeibereitschaftsnummer 911 an, meldete dort den Überfall und bat um Hilfe.

Mehr als 50 Minuten lang wütete das Überfallkommando in El Triunfo de la Cruz und durchsuchte ungestört sieben Häuser. Aus der zwölf Kilometer entfernten Polizeistation in Tela kam niemand zu Hilfe. Eingeschüchtert von den Drohungen der Bewaffneten, lösten die Bewohnerinnen und Bewohner ihre Blockade auf. Dann raste das Überfallkommando mit den fünf Männern aus dem Dorf. Seither sind sie spurlos verschwunden.

Die Garífuna

El Triunfo de la Cruz liegt an der honduranischen Karibikküste und wird seit Anfang des 19. Jahrhunderts von Garífuna besiedelt. Die indigene Bevölkerungsgruppe begann Ende des 18. Jahrhunderts, sich entlang der Karibikküste verschiedener Länder anzusiedeln. Sie kam auch in die Region nahe Tela, einer Hafenstadt, die sich im 20. Jahrhundert zu einer Metropole der Bananenwirtschaft entwickelte und es bis in die 1970er-Jahre blieb.

Die Gegend um Tela ist traumhaft schön, die Garífuna haben dort über Jahrzehnte hauptsächlich vom Fischfang gelebt und versucht, ein Leben im Einklang mit der Natur zu führen. Zwar wurden ihre Sprache, Tänze und Musik im Jahr 2001 in die Unesco-Liste des immateriellen Kulturerbes der Menschheit aufgenommen. Doch diese internationale Anerkennung schützt sie in Honduras nicht vor Landraub und gewaltsamer Vertreibung.

Denn ihr Land liegt in einer umkämpften Region: Die dort agierenden Drogenkartelle üben starken Druck auf die Gemeinden aus. Zudem bauen multinationale Konzerne auf Ländereien der Garífuna widerrechtlich Bodenschätze ab oder legen Monokulturen zur Gewinnung von Palmöl an. Ebenso versuchen nationale und internationale Reiseunternehmen, sich das Land legal oder illegal für Hotel- und Tourismusvorhaben anzueignen. Das alles ist in Honduras oft problemlos möglich, weil die Korruption bis in die höchste politische Ebene verankert ist und das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit nicht mehr greift.

Gegen all das wehren sich die Garífuna. Sie organisieren Landbesetzungen und blockieren Straßen. Und sie klagen vor nationalen und internationalen Gerichten. Im April 2006 verpflichtete die Interamerikanische Menschenrechtskommission die honduranische Regierung dazu, das Recht der Gemeinde El Triunfo de la Cruz auf ihr angestammtes Land zu schützen. Im Februar 2013 übergab die Kommission den Fall an den Interamerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte.

Dieser entschied im Oktober 2015, Honduras habe das Recht auf kollektives Eigentum verletzt, und verpflichtete den Staat, die Ländereien der Garífuna bis Ende 2017 als Kollektivland zu kennzeichnen. Das Urteil bezog sich sowohl auf El Triunfo de la Cruz als auch auf das kleinere, östlich gelegene Garifuna-Dorf Punta Piedra.

Seit fast drei Jahren ist diese Frist verstrichen, die honduranische Regierung hat jedoch bislang nichts unternommen, um das Urteil umzusetzen.

Widerstand gegen Landraub und Vertreibung

Die fünf verschwundenen Männer aus El Triunfo de la Cruz engagierten sich für die Rückgabe der geraubten Ländereien und den Erhalt des Landes, erzählt Miriam Miranda. Sie koordiniert die Garífuna-Organisation Ofraneh, die seit Jahrzehnten gegen Diskriminierung, Landraub und Vertreibung sowie für den Erhalt der Garífuna-Traditionen kämpft.

46 Gemeinden der honduranischen Nordküste sind in dieser Organisation vertreten. Für Miranda hängt das gewaltsame Verschwindenlassen der fünf Männer mit deren Arbeit zusammen. "Snider kämpfte für die Ländereien, verteidigte sie gegen die Bergbauindustrie, den Tourismus und die invasive Landnahme für Monokulturen aus Ölpalmen. Außerdem setzte er sich dafür ein, das Urteil des Interamerikanischen Gerichtshofs für Menschenrechte von 2015 umzusetzen."

Allein 2019 wurden mehr als 25 Mitglieder der Garífuna-Gemeinschaft ermordet. Die meisten von ihnen verteidigten das Territorium der Garífuna, berichtet Miranda, wie zum Beispiel Mirna Suazo, Vorsitzende des Gemeinderats von Masca, die gemeinsam mit vier Familienmitgliedern getötet wurde.

Im Juni 2020 wurde Antonio Bernardéz ermordet, der Vorsitzende des Gemeinderats von Punta Piedra. Er war 2015 als Zeuge vor dem Interamerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte aufgetreten und hatte über Fälle von Landraub und die Verletzung der territorialen Rechte seiner Gemeinde ausgesagt.

Der Fluch der geografischen Lage

Miriam Miranda erhielt für ihren unermüdlichen und mutigen Einsatz für die Grundrechte der Garífuna 2019 in Berlin den Menschenrechtspreis der Friedrich-Ebert-Stiftung. Die kämpferische Frau ist seit mehr als 30 Jahren politisch aktiv und lässt sich selten einschüchtern – weder von Anklagen vor Gericht oder Morddrohungen noch von direkten Angriffen auf sie selbst, zu denen auch eine Entführung gehörte. Und das, obwohl die Interamerikanische Menschenrechtskommission den honduranischen Staat verpflichtet hat, für Mirandas Schutz zu sorgen.

Die Entwicklung der vergangenen Jahre bereitet ihr Sorgen und macht sie zugleich wütend. Schon Mitte 2019 beklagte sie öffentlich, dass sich die Garífuna in einer kritischen Situation befänden, "mal von den Schikanen und den Ängsten abgesehen, die wir sowieso täglich erleben, wenn wir unseren Lebensraum verteidigen". Dass die Garífuna-Gemeinden innerhalb des Drogenkorridors liegen, habe die Lage verschlimmert: "Unsere Dorfgemeinschaften werden von kriminellen Gruppen angegriffen. Die Drogenkartelle kämpfen um Territorien, und inmitten dieser Kampfzonen leben die Garífuna. Und was macht der Staat? Er schickt Militär in unsere Gemeinden, angeblich, um den Drogenhandel zu bekämpfen. Das ist eine völlig verlogene Politik. Jeder hier weiß genau, wer alles in die Drogengeschäfte verwickelt ist. So werden unsere Dorfgemeinschaften militarisiert. Die vermeintliche Bekämpfung des Drogenhandels erleben sie als repressive Politik."

Im Oktober 2019 verurteilte ein New Yorker Gericht Juan Antonio Hernández wegen Drogenhandels im großen Stil. Er ist der Bruder des amtierenden honduranischen Präsidenten Juan Orlando Hernández, der 2017 verfassungswidrig ein zweites Mal für die Präsidentschaft kandidierte und das Amt trotz offensichtlichen Wahlbetrugs erneut übernehmen konnte. Zum Prozessauftakt im Oktober 2019 beschuldigte der US-Staatsanwalt Jason Richman den honduranischen Präsidenten, er habe über seinen Bruder Bestechungssummen in Millionenhöhe erhalten, die vom Drogenboss Joaquin "El Chapo" Guzmán stammten.

Honduras, sagt Miriam Miranda "ist ein Land, das nach dem Staatsstreich 2009 in sich zerfiel, dessen institutionelle Struktur zerstört ist und das von einer Drogendiktatur beherrscht wird." Mit etwa 41 Getöteten pro 100.000 Einwohner hat das Land außerdem eine der weltweit höchsten Mordraten. Besonders gefährdet sind Menschen, die sich für Landrechte und Umwelt engagieren.

Nach einer Studie der Organisation Global Witness wurden von 2009 bis 2016 insgesamt 123 Aktivisten und Aktivistinnen ermordet, die sich für Landrechte und Umweltschutz engagierten. 2019 waren es nach Angaben von Global Witness 14. Damit belegt Honduras, was getötete Aktivistinnen und Aktivisten betrifft, weltweit den fünften Rang.

Armut und Sonderwirtschaftszonen

Das Land gehört zu den ärmsten Ländern des Kontinents. 60 Prozent der Honduranerinnen und Honduraner gelten als arm, rund ein Drittel der Bevölkerung lebt in extremer Armut. Besonders betroffen sind Indigene in ihren weit abgelegen Dörfern, in denen es kaum Infrastruktur und keine medizinische Versorgung gibt. Dazu gehören auch die Garífuna. Bevor die strenge Ausgangssperre wegen der Corona-Pandemie ausgerufen wurde, zog es immer wieder ganze Familien aus den Garífuna-Dörfern in Richtung USA. Die Pandemie und die seit Monaten andauernde Ausgangssperre hat ihre Lage weiter verschlechtert.

In dieser perspektivlosen Situation will die Regierung sogenannte "Arbeitsmarktzonen für wirtschaftliche Entwicklung" schaffen. Für diese von internationalen Investoren finanzierten Gebiete sollen eigene Gesetze gelten. Die erste dieser Zonen, Prospera Roatan genannt, entsteht gerade auf der Karibikinsel Roatan. Projektpartner ist die InSITE BAVARIA der TUM International GmbH, ein Tochterunternehmen der Technischen Universität München. Auf der Website von InSITE BAVARIA heißt es, man werde die wirtschaftlichen Aktivitäten der Sonderwirtschaftszone Prospera entwickeln.

Ursprünglich sollte es sogenannte Charter Cities geben, Modellstädte, für die das honduranische Parlament 2011 ein entsprechendes Gesetz verabschiedete. Doch im Oktober 2012 erklärte das Verfassungsgericht das Gesetz für verfassungswidrig. Zwei Monate später wurden die verantwortlichen Richterinnen und Richter ihrer Ämter enthoben und die gesetzliche Grundlage für die "Arbeitsmarktzonen für wirtschaftliche Entwicklung" geschaffen.

An allen geplanten Standorten gibt es Widerstand der einheimischen Bevölkerung. Auch die Garífuna-Organisation Ofraneh protestiert und hat eine Verfassungsbeschwerde mit unterzeichnet. Der Protest richtet sich gegen die Aufnahme von 24 Garífuna-Gemeinden in die Pläne, die derzeit für die Nordküste vorliegen.

Das Verbrechen von El Triunfo de la Cruz

Im Fall der fünf verschleppten Männer aus El Triunfo de la Cruz haben sowohl das honduranische Büro des UNHCR als auch Amnesty International die Regierung aufgefordert, alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um die Verschwundenen ausfindig zu machen. Der Interamerikanische Gerichtshof für Menschenrechte forderte Honduras Anfang August 2020 auf, zu ermitteln.

Die Situation der Angehörigen ist geprägt von Ungewissheit, Angst und Wut. Die zur Sicherheit der Gemeinde angebrachten Überwachungskameras funktionierten just in den frühen Morgenstunden des 18. Juli 2020 nicht. Der Aussage der Behörden und mancher Medien, die Entführer seien als Polizisten verkleidete Kriminelle gewesen, widerspricht Omar Guzmán. Der Bruder von Suami Mejia und Onkel von Snider Centeno ist sich sicher: Es waren kriminelle Polizisten, die die Männer gewaltsam verschwinden ließen.

https://www.amnesty.de/informieren/amnesty-journal/honduras-es-fehlt-jede-spur