Internationaler Tag der Verschwundenen © Erika Harzer
Internationaler Tag der Verschwundenen © Erika Harzer

Gedanken zum internationalen Tag der Verschwundenen am 30. August 2020

Von der Straße weg entführt, zu Hause abgeholt, während einer Demonstration festgenommen. Wahrscheinlich gefoltert. Keine Angaben über den Verbleib. Für immer verschwunden?

Verschwindenlassen von Personen zählt zu den schlimmsten Mitteln staatlicher Repression und umfasst gleich diverse Menschenrechtsverletzungen, von denen – neben der vermissten Person selber – auch die Angehörige betroffen sind.

Verschwindenlassen heißt auch erzwungenes Verschwinden.

Schätzungsweise sind von den Zeiten der Militärdiktaturen in Lateinamerika in den 70er und 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts rund 350.000 Menschen dauerhaft erzwungenermaßen verschwunden – die sogenannten desaparecidos.

Fort, nicht aufzufinden, verloren, flüchtig, verloren

Im Dezember 2006 verabschiedete die UN Generalversammlung eine Konvention gegen diese Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

Artikel 2:
Im Sinne dieses Übereinkommens bedeutet „Verschwindenlassen“ die Festnahme, den Entzug der Freiheit, die Entführung oder jede andere Form der Freiheitsberaubung durch Bedienstete des Staates oder durch Personen oder Personengruppen, die mit Ermächtigung, Unterstützung oder Duldung des Staates handeln, gefolgt von der Weigerung, diese Freiheitsberaubung anzuerkennen, oder der Verschleierung des Schicksals oder des Verbleibs der verschwundenen Person, wodurch sie dem Schutz des Gesetzes entzogen wird.

Heute, vierzehn Jahre nach Verabschiedung der Konvention, gelten in Mexiko mehr als 73.000 Menschen als Verschwunden.

abhandengekommen, verschollen, weg, wie vom Erdboden verschluckt, verschwunden

Wie viele davon Opfer gewaltsamen Verschwindenlassens unter Mitwirkung staatlicher Akteure sind und wie viele von ihnen verschwunden wurden durch nichtstaatliche Akteure ist unklar, genauso nicht schätzbar ist, wie hoch die Anzahl von Geflüchteten und Migrierenden aus den zentralamerikanischen Nachbarländern dabei ist.

Knapp 98 Prozent der Fälle datieren auf die Zeit seit 2006.

Heutzutage wächst kontinuierlich die Zahl verschwundener Menschen auf Flucht- oder Migrationswegen. Laut Zahlen der Vereinten Nationen sind von 2014 bis Herbst 2019 im Mittelmeer mindestens 18.999 Migrant*innen und Flüchtlinge gestorben oder als vermisst gemeldet worden. Dunkelziffern dürften weitaus höher liegen.

Wir wissen alle, dass das Mittelmeer mittlerweile ein Friedhof ist….

Weltweit zählte die Internationale Organisation für Migration, die IOM, 5022 Tote und vermisste Geflüchtete im Jahr 2014 und 5.426 im Jahr 2015. Die Dunkelziffer der darin nicht erfassten Personen, über deren Verschwinden weder berichtet wurde noch Suchmeldungen nach ihnen angeschoben wurden, wird weitaus höher geschätzt.

„Das sind Menschen, die sich aus Verzweiflung, aus Not auf gefährliche Wege machen und dabei ihr Leben lassen. Das sind nicht nur diejenigen, die ihr Leben auf See lassen, sondern es sind auch Menschen die auf dem Landweg sterben, Wüsten überqueren und dabei ihr Leben lassen. Das sind Menschen, die nie dort ankommen, wo sie Schutz suchen wollten und hofften, zu finden.“
Katharina Lumpp, Vertreterin des UNHCR in Deutschland im Juni 2016

Verschwinden-lassen ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Verschwinden-lassen ist im Jahr 2020 nach wie vor angewandte Praxis in vielen Ländern dieser Welt. So verschleppten im Juni dieses Jahres schwerbewaffnete Männer in Polizeiuniformen 5 Männer aus dem honduranischen Küstendorf Triunfo de la Cruz, vier davon Angehörige der etnischen Gruppe der Garifunas. Eine gängige Praxis bei Landkonflikten in diesem kleinen mittelamerikanischen Land. Bis heute fehlt von ihnen jede Spur.

„Jeden Tag verschwinden Menschen auf der ganzen Welt spurlos. Männer, Frauen, Jugendliche und Kinder werden verhaftet oder entführt. Sie werden an einem geheimen Ort gefangen gehalten, oft gefoltert und manchmal sogar getötet. Das Schicksal dieser Menschen ist ungewiss.

Zu den Tätern gehören Regierungsbeamte, private Organisationen oder Einzelpersonen. Sie werden oft von der Regierung unterstützt. Manchmal handeln die Täter sogar im Auftrag der Regierung. Oder die Regierung akzeptiert das Verschwindenlassen einfach.

In vielen Fällen geben die Behörden das Verschwindenlassen nicht zu. Und sie sagen auch nicht, was mit der vermissten Person passiert ist. Die Opfer und ihre Familien-Angehörigen haben dann keine Möglichkeit, ihre Rechte einzufordern, zum Beispiel das Recht auf Entschädigung.

Das Verschwindenlassen ist eine schwere Verletzung der Menschen-Rechte, weil die Opfer ihre Freiheit verlieren und ihr Leben in Gefahr ist. Auch die Menschen-Rechte der Familien-Angehörigen werden verletzt, weil sie keine Informationen über den Aufenthalt der Opfer bekommen.“

Aus: https://gewaltsames-verschwindenlassen.de/feature/das-verschwindenlassen

Es kann und darf nicht sein, dass nur einmal im Jahr, am 30. August, dieses Thema als solches wahrgenommen wird. Menschen verschwinden täglich!!!!!!

Mehr Gedanken und Informationen dazu in meinem 2016 erarbeiteten Manuskript für das Radiofeature „Geschichten vom Verschwinden-lassen